Kein anderer Monat bedient in meiner Beratungspraxis so sehr das „nicht Genügen-Gefühl“, wie der Dezember. Für viele Familien, egal, wie zusammengesetzt, wirft es jedes Jahr aufs Neue die gleichen Fragen auf, die seltenst konstruktiv mit allen Familienmitgliedern an einem Tisch besprochen werden, sondern sich wie ein ständig wiederholender Weihnachtssong in einzelnen Köpfen abspielt.
In diesem Jahr möchte ich mich mit meinem Beitrag den Fortsetzungs- oder auch Patchwork-Familien zuwenden.
Um das Gute vorwegzunehmen:
Patchwork-Systeme bieten für die Erwachsenen auch eine 2. Chance der Neugestaltung von Ritualen, Gewohnheiten und Bräuchen. Bestenfalls ein Best-Off aus den Erstfamilien-Konstellationen mit einer großen Prise Neuem.
Der Weg dahin wird maßgeblich davon beeinflusst, wie gut im inneren und äußeren Kreis der Fortsetzungsfamilien kooperiert wird.
Der innere Kreis meint die neue Paarbeziehung und die jeweils dazugehörigen Kinder. Der äußere Kreis meint die Ex-Partner:innen, Omas und Opas, Freund:innen der Erst- und Fortsetzungsfamilien.
Möglicherweise gibt allein diese Einordnung schon mal einen Überblick darüber, welche Komplexität es hier zu händeln gilt.
Einige Themen, die sich aus dieser Komplexität ergeben:
- Loyalitätskonflikte der Kinder, der Großeltern, der Freund:innen
- Widerstand und Ablehnung gegenüber der neuen Partnerschaft
- Machtkämpfe und Besitzansprüche im inneren und äußeren Kreis
Und dabei muss die Auflösung und der Trennungsprozess der Erst-Familie nicht unbedingt hochkonflikthaft abgelaufen sein. Manchmal reichen auch Großeltern, die in die Total-Verweigerung gehen oder Kinder, die die neue Partnerschaft mit allen Mitteln sabotieren.
Es gibt hier sicherlich nicht die „all-fit-one-size“-Lösung, die für alle Fortsetzungsfamilien passend ist. Ich möchte aber auf ein paar Dinge hinweisen, die entlastend wirken können:
Komplexität reduzieren
Ein Patchwork-System ist keine nahtlose 1:1 Fortsetzung der Erst-Familie. Der Paarbeziehung, die neu entstanden ist, Zeit und Raum zu geben ohne die jeweiligen Anhänge, schafft eine Basis für das, was darauf entstehen kann und gibt dem Prozess des Zusammenwachsens die nötige Entfaltung.
Ich erlebe häufig in Beratung, wie nach kurzer Zeit, das Umfeld in die neue Beziehung einbezogen wird, was dem Gelingen häufig eine Übergangsphase nimmt und sich wie ein Austauschen anfühlt. Gerade Kinder fühlen sich hier schnell überrannt und wenig gesehen in ihrem Prozess.
Erwartungen senken
Dass das Umfeld die neue Partnerschaft genauso feiert, wie das sich neu zusammen gefundene Paar gleicht wohl eher einem Lotto-Gewinn als einer realistischen Situation.
Entspannung an dieser Stelle könnte die Aussage schaffen: „Und das ist o.k.!“.
Kinder in Patchwork-Systemen sind gerade in der Anfangszeit sehr damit beschäftigt, sich die Gewissheit des leiblichen Elternteils zu verschaffen, dass sie ihren Platz auf Rang 1 behalten. Sie gehen also eher in Konkurrenz zueinander. Je weniger Kraft auf tatsächlicher Ebene in Form von Einmischung hineingegeben wird, desto eher findet das neue System in eine Balance. Die Kinder in dieser neuen Partnerschaft haben sich nicht ausgesucht, miteinander immer mal wieder Phasen ihres Lebens zu teilen und in anderen Lebensbereichen würde man ihnen vermutlich auch nicht vermitteln, dass sie mit jedem anderen Kind können müssen. Es reicht, wenn hier ausgehandelt wird, höflich und respektvoll miteinander umzugehen und zu signalisieren, dass diese Beziehung nicht an Erwartungshaltungen der Erwachsenen geknüpft ist.
Gleiches gilt für alle anderen Menschen im Umfeld.
Sensibilität erhöhen
Die Erst-Familie hat viele erste Male erlebt: Hochzeit, Geburten der Kinder, eigene Rituale und Traditionen schaffen, Familienurlaube, Weihnachtsfeste usw. Wenn nach Trennung und vor der neuen Partnerschaft beispielsweise immer noch Weihnachtsfeste zusammen gefeiert wurden, braucht es ab dem Zeitpunkt der neuen Paarbeziehung veränderte Zusammenkünfte. Die neu hinzukommenden Partner:innen sollte sich den Traditionen der Erst-Familie nicht unterordnen müssen. Rein systemisch betrachtet, heißt das nämlich, dass die/der Ex-Partner:in hierarchisch noch an erster Stelle steht, was automatisch zu einem Ungleichgewicht im Patchwork-System führt.
Wie kann es nun also gelingen, Weihnachten in neuer Konstellation?
Nachfolgend ein paar Gedankenanstöße:
- Kooperation ist keine Einbahnstraße: Welche Bedürfnisse gibt es und wie finden sich die Erwachsenen in dem Gesamt-Setting mit ihrem Bedürfnis wieder? Kinder geben hier nicht den Ton an (!).
- Welche Erwartungshaltungen im inneren und äußeren Kreis gibt es und welche davon WOLLEN erfüllt werden? Heißt sich damit auseinanderzusetzen und ins Gespräch zu gehen.
- Etwas Altes und etwas Neues: Was braucht es für jeden einzelnen an Ritualen, gerade bei Kindern wichtig im Blick zu behalten, was beibehalten werden sollte und was darf an Neuem entstehen?
- Struktur und Planung schaffen Sicherheit gerade beim ersten gemeinsamen Weihnachtsfest.
- Räume schaffen zum Durchatmen: Gefühle wollen gefühlt werden und deshalb braucht es zwischen all dem Trubel vereinbarte (!) Zeit, um Innehalten zu können.
- Nach Weihnachten ist vor Weihnachten: Was ist wiederholungswürdig und was braucht es in der einmal erlebten Form nicht mehr? Wo gab es zu viel und wo zu wenig Planung? usw. Sich dafür einmal Zeit zu nehmen ist ein Invest fürs nächste Jahr.