„Sagen Sie Frau Töpfer, gibt es eigentlich noch schlimmere Familiengeschichten als meine?“
Eine meiner Lieblingsantworten, weil sie so komplex in ihrer Aussagekraft ist, lautet:
„Unter jedem Dach ein Ach!“
Jedem Anliegen, jeder Familiengeschichte, jedem Familienmitglied so neutral wie möglich zu begegnen, schärft meinen Blick für die Möglichkeiten meines Gegenübers, seine Situation von der Problem- auf die Lösungsebene zu heben.
Jede Familie hat ihre eigene Geschichte, lebt nach ihren eigenen Regeln, funktioniert nach einer eigenen Dynamik.
Klient_innen kommen aus den unterschiedlichsten Gründen in die Beratung, z.B.:
Leider. Zu entdecken, da bin ich mir sicher, gibt es für jede_n etwas. Persönlichkeiten könnten mit diesen Entdeckungen noch einmal anders an Kraft gewinnen oder in einen tieferen Sich-selbst-Kennenlernprozess eintreten.
Und wissen in der Regel nicht auf den ersten Blick, was die Ursache sein könnte. Manchmal gab es im aktuellen Alltag eine Schlüsselsituation, die alles in Frage gestellt hat. Manchmal ist es auch ein latent immer vorhandenes Gefühl von Beschwertheit und der Wunsch, sich davon endlich befreien zu wollen.
Dann alles auf die Familie zu schieben, ist zu einfach. Vielmehr geht es um ein besseres Kennenlernen der eigenen Sozialisierung. Ich gehe als Systemikerin immer davon aus, dass jede Generation das gegeben hat, was sie aufgrund der Zeit, der Umstände, der eigenen Erfahrungen, Fähigkeiten und Kompetenzen geben konnte. Manchmal führt das dazu, dass Menschen sich – gerade in sehr jungen Jahren und rückblickend betrachtet – materiell und/oder emotional unterversorgt gefühlt haben und aus diesem Mangel heraus weiterhin ihr Leben gestalten. Möglicherweise eher de- statt konstruktiv.
Dann bedarf es einer Weichenstellung für die Gestaltung des weiteren Lebensweges.
Kommen wir nun zu den Grundlagen der systemischen Arbeit, die spannender Weise nicht nur auf Familiensysteme übertragbar sind, sondern beispielsweise auch auf Organisationssysteme.
In jedem Menschen gibt es eine Schatzkiste. Bestehend aus schönen Erinnerungen, Personen, die einen besonderen Wert hatten oder haben, Fähigkeiten und Kompetenzen, die diesen Menschen ausmachen. Diese Schatzkiste lässt sich (re)aktivieren, weiter auffüllen und präsenter ins Leben integrieren. Gerade die nicht so guten Zeiten im Leben bringen häufig große Fähigkeiten hervor. Meist sind diese aber mit dieser schwierigen Zeit verknüpft und stehen einem Menschen nicht bewusst zur Verfügung. Ziel einer Bewusstwerdung ist es, Menschen zurück in ihre Selbstwirksamkeit zu führen und das Gute, was sie aus den schwierigen Zeiten erlernt haben als persönliches Handwerkszeug zu nutzen.
Dieser Ansatz ist einer der größten Unterschiede zu vielen anderen Arten der beratenden bzw. therapeutischen Tätigkeit. Manchmal fällt es schwer, in Lösungen zu denken, weil es ein Prozess ist. Dann ist es vielleicht nicht die allumfassende Lösung, sondern kleine Schritte auf dem Weg. Damit setze ich mich auseinander: Wo steht mein Gegenüber, was braucht es, um ins Handeln zu kommen. Manchmal ist es eine Parkbank im übertragenen Sinne auf dem Weg, manchmal aber auch die Gewissheit, dass es ein eigenes Tempo für den Prozess geben darf. Wir gucken darauf, was aktuell möglich ist und nutzen gezielt die Ressourcen für diesen Prozess.
Ich arbeite systemorientiert.
Das bedeutet für mich, bewusst in den Perspektivwechsel zu begleiten.
Ich hatte eingangs geschrieben, dass der Satz „Unter jedem Dach ein Ach!“ weitaus komplexer ist, als er mit seinen fünf Wörtern daherkommt und leite damit einmal zu folgenden Fragen über, die ich als systemische Familienberaterin bezüglich eines Familiensystems immer gern stelle:
Verstehen Sie? Die Bedeutung dieser fünf Wörter fällt für jede Familie anders aus und das ist es, was mich treibt und mich so gern mit Familiengeschichten beschäftigen lässt.
Der Grundgedanke dahinter ist, Geschichten nicht nach Schubladen zu sortieren á la gut und schlecht, richtig oder falsch, hübsch oder hässlich, hell oder dunkel, usw.. Bedingungen machen Umstände und mich interessiert in der Arbeit eher, wie Bedingungen angepasst werden könnten, damit (wieder) Bewegung möglich werden kann.
Um es verständlicher zu machen: Wenn Sie auch so gern True Crime Podcast hören, wie ich, werden Sie möglicherweise schon häufiger den Satz „Mich interessiert die Persönlichkeit des Täters oder der Täterin und die Frage, wie ist er oder sie an diesem Punkt der Tat gekommen?“ gehört haben. Ich stelle mir bei den Biografien, die meinen Alltag bestimmen, immer die Frage nach der Weichenstellung für einen zukünftigen Verlauf des Lebens meines Gegenübers.
Es gibt noch so viel zu schreiben zu dieser für mich sehr wirkungsvollen Arbeit, Menschen in ihren persönlichen Prozessen zu begleiten.
Mit diesem ersten Blogbeitrag soll nun ein Anfang gemacht sein. Wenn Sie mir ein Feedback dalassen wollen, Interesse an einem zukünftig erscheinenden Newsletter haben oder vielleicht sogar ein Anliegen und sichergehen wollen, ob Sie damit bei mir richtig sein könnten, dann treten Sie gern mit mir in den Kontakt.
Ich freue mich über jede weitere Lebensgeschichte, die ich begleiten und die Zukunft gerichtet leichter werden lassen darf.
Ihre Sina Töpfer