Ich habe in meinem Beitrag Systemische Familienberatung bereits eingeführt, dass das Anliegen meines Gegenübers in der Beratung immer in einem Kontext des Systems, was ihn umgibt, zu setzen ist. Neben der Familie gibt es weitere Systeme, die einen Menschen umgeben, z.B. der Job, Vereine oder ein politisches System.
Ich möchte in diesem Artikel den Lichtkegel mehr auf das Thema politisches System halten, genauer die unterschiedliche Sozialisierung im geteilten Deutschland.
Politische Systeme beeinflussen Sozialisierungserfahrungen
Im Laufe der Jahre habe ich immer wieder Menschen in Beratungsprozessen begleitet, die entweder in den neuen oder alten Bundesländern sozialisiert wurden. Inzwischen kommen auch immer mehr „Nachwendekinder“ in die Beratungsprozesse, d.h. die Generation, die kurz nach der Wende geboren wurde und entweder im neuen oder alten Teil Deutschlands aufgewachsen ist.
Mich begeistert es, hier über die Anliegen in den Beratungsprozessen, Themen auf die Spur zu kommen, die ihren Ursprung in der Unterschiedlichkeit der politischen Systeme haben. Politische Systeme beeinflussen natürlicherweise auch Sozialisierungserfahrungen.
Was mich in Beratung häufig beschäftigt, sind Identitätsthemen, die die Anliegen bestimmen.
Wenn wir uns fragen, weshalb es sich häufig immer noch so trennscharf – dieses Ost/West – anfühlt, dann gibt es aus meiner Sicht nicht diesen einen Punkt. Die Ursachen sind komplex und oft in tief verwurzelten Familienüberzeugungen verborgen:
„Nicht alles Gold, was glänzt!“
„Ossis sind einfach zu dumm!“
Ich könnte unzählige weitere Beispiele finden.
Was mich in Beratung häufig beschäftigt, sind Identitätsthemen, die die Anliegen bestimmen.
Beispielhaft:
Weshalb führe ich in meiner Ehe immer wieder die gleichen Diskussionen zum Thema Gleichberechtigung? Bin ich falsch?
Es geht also nicht um gut und schlecht, sondern darum, anzuerkennen, dass des einen Ressource des anderen Herausforderung ist.
Klar, das ist auch ein gesellschaftlicher Diskurs, der zurecht geführt wird, aber die Frage, die mich in Beratung beschäftigt, ist, wer mit welcher Sozialisierung trifft denn hier gerade aufeinander und weshalb ist das so ein großes Thema? Und dann komme ich möglicherweise zu dem Schluss, dass das nicht nur mit den jeweiligen Herkunftsfamilien zu tun haben könnte, sondern auch mit den politischen Systemen, in denen diese Herkunftsfamilien gelebt haben.
Menschen, die in den alten Bundesländern sozialisiert wurden, setzen sich stärker mit Geschlechterrollen auseinander. Das ist für Menschen aus den neuen Bundesländern häufig weniger ein Thema.
In diesem Zusammenhang habe ich gerade einen schönen Satz in dem Buch „Ost*West*frau*“ von Franziska Hauser und Maren Wurster gelesen, der sinngemäß so ging: Der Ostdeutsche Mann kann der Gesellschaft gerade viel über Feminismus erzählen.
Denn zu Zeiten der DDR und das hat das politische System mit sich gebracht, war alles darauf ausgerichtet, dass die Frau nicht in Abhängigkeit von dem Mann existiert.
Und andersherum finde ich seltener Bindungstraumata in Biographien der alten Bundesländer.
Das System West war darauf ausgerichtet, dass der Mann das Geld verdient und die Frau bei den Kindern bleibt, was die Chance, sicher gebunden aufzuwachsen, maßgeblich beeinflusst hat.
In der DDR war es Gang und Gebe, die Kinder teilweise schon mit wenigen Wochen abzugeben, um wieder arbeiten gehen zu können und auch zu müssen (!). Die Betreuungssituation war durchdacht, wenngleich von schwarzer Pädagogik durchzogen.
In meiner systemischen Haltung öffne ich mich immer für die beiden Seiten der Medaille. Es geht also nicht um gut und schlecht, sondern darum, anzuerkennen, dass des einen Ressource des anderen Herausforderung ist.
Es gibt im Kollektiv sicherlich noch viel tun, um miteinander in Balance zu kommen.
Im 1:1 meiner Beratungen freue ich mich über jedes aufgedeckte, gefühlte und zur Integration bereite Lebensthema, was seinen Ursprung nicht nur, sondern auch im politischen Umfeld der eigenen Biographie hat.